Birkenblätter

(schwer)
Haben auch Sie manchmal „Wortfindungsprobleme"? Ein ziemlich bekannter Autor hatte vor knapp hundert Jahren ein sehr spezielles und offenbar unlösbares.
Ich werde ins Grab sinken, ohne zu wissen, was die Birkenblätter tun. Ich weiß es, aber ich kann es nicht sagen. Der Wind weht durch die jungen Birken; ihre Blätter zittern so schnell, hin und her, dass sie ... was? Flirren? Nein, auf ihnen flirrt das Licht; man kann vielleicht allenfalls sagen: die Blätter flimmern ... aber es ist nicht das. Es ist eine nervöse Bewegung, aber was ist es?
Tucholsky
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Abstract photography عکاسی انتزاعی 08
By Mostafameraji (Own work) [CC BY-SA 4.0], via Wikimedia Commons

Kommentar

Wissen Sie, was die Birkenblätter tun? Wenigstens in Ihrer Muttersprache? – Natürlich geht es in dem kurzen Prosastück von Tucholsky – mit dem Titel „Mir fehlt ein Wort" – nicht hauptsächlich um das treffende Verb für Birkenblätter-Aktivitäten. Ein imaginärer Opponent macht den politisch engagierten Schriftsteller Tucholsky darauf aufmerksam, dass es wichtigere Dinge gibt, z.B. die Arbeiterbewegung. Der Verfasser erwidert, dass auch die Arbeiterbewegung literarische Vorkämpfer braucht, die der Sprache mächtig sind.

Und so geht es am Ende doch wieder um die Frage, was die Birkenblätter tun. Und wenn Sie keine Antwort „ kein Verb “ gefunden haben: kein Problem. Auch Tucholsky ist keins mehr eingefallen:
„Was tun die Birkenblätter? Während ich dies schreibe, stehe ich alle vier Zeilen auf und sehe nach, was sie tun. Sie tun es. Ich werde dahingehen [sterben] und es nicht gesagt haben.“
20. Jhd.

Autor und Werk

Kurt Tucholsky, 1890-1935.
„Mir fehlt ein Wort“ von 1929. Der Text bei textlog.de.

Verben

sinken wehen zittern flirren flimmern
20160323


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