DaF-Tabu Religion

Gibt es Themen, die man im DaF-Unterricht unbedingt meiden sollte?

Warum essen Muslime kein Schweinefleisch? Und kann man in einer DaF-Klasse mit muslimischen Teilnehmern über Fragen wie diese sprechen – obwohl Religion eigentlich tabu ist? Frage zwei ist leichter zu beantworten als Frage eins, deshalb beginnen wir mit dieser.

Also: man kann in einer DaF-Klasse über die Frage sprechen, warum Muslime kein Schweinefleisch essen. Ungefähr eineinhalb Minuten lang – dann muss man die Diskussionsteilnehmer bitten, nicht so zu brüllen, weil im Nachbarraum eine Prüfung stattfindet. Nach einer weiteren Minute muss man die Diskussion ganz abbrechen, weil sie nicht in zivilisierte Bahnen zurückfindet.

Vielleicht sollte man eine einmalige Erfahrung nicht überverallgemeinern. Worüber man reden kann, hängt ja auch von der Zusammensetzung eines Kurses ab. Formulieren wir vorsichtiger: Man könnte womöglich über kulinarische Tabus sprechen, wenn nicht grade ein junger Mann aus Afghanistan, mit eher orthodoxen Ansichten und einem nahen Verwandten, der sieben Ehegattinnen sein eigen nennt, einerseits, und eine junge Frau aus Syrien, in einem schicken und ziemlich figurbetonten Kostüm und mit ziemlich „aufgeklärten“ Ansichten andererseits im Kurs sitzen. Denn dass die beiden sich in die Haare geraten, ist fast unvermeidlich.

Aber auch unter diesen besonderen Umständen ist es jedenfalls schade, dass man keine zivilisierte Diskussion hinkriegt. Denn was die beiden Hauptkontrahenten in kurzer Zeit an Argumenten vorbrachten, war wirklich interessant.

Die eine glaubte an irgendeine Art von irdischem Sinn, den das Speisegebot auch hat. Der andere wollte davon nichts hören. Gott will es, ich gehorche.

Wir mussten die Diskussion beenden, weil schnell die „Fronten verhärtet“ waren, wie man gerne sagt; und wir müssen ja auch ans Deutschlernen und die Kursatmosphäre denken. Aber ich habe wenigstens nachträglich einen Beitrag des Deutschlandfunks zu dem Thema verlinkt. Hier die ersten Sätze daraus.

Hindus würden nie ein Rind verspeisen, Juden und Muslime kein Schwein, Christen war über Jahrhunderte das Fleisch von Pferden untersagt.

(Wir werden) der Frage nachgehen, ob die Tabuisierung dieser drei Haustierarten nur eine göttliche Laune war oder ob sich hinter religiösen Reinheitsgeboten nicht auch rationale, ökologische oder gesellschaftliche Beweggründe verbergen.

Kai Lückemeier und Jan Tengeler, DLF

Die beiden Diskutanten waren also in kürzester Zeit zur – natürlich anders formulierten – Kernfrage vorgedrungen: „göttliche Laune“ oder „rationale Beweggründe“? Und hier könnte man sicher noch ein bisschen weiterdiskutieren.

Würde Gott etwas Nicht-Rationales tun oder verlangen? Könnte er den Gläubigen etwas vorschreiben, was nachteilige Folgen für sie haben kann? Andernfalls: Warum sollte man nicht herausfinden können, welche Absichten er mit seinen Vorschriften verfolgt?

Allerdings: Wenn sich die Tabus aus Umständen in der Menschenwelt erklären lassen, werden göttliche Gebote überflüssig. Jedenfalls verlieren sie dann ihren besonderen „transzendenten“ Charakter, werden irgendwie banal-irdisch. Und könnte dann nicht irgendwann Gott selbst überflüssig werden? In diese Richtung ging die Entwicklung im Christentum in den letzten dreihundert Jahren.

Es geht also nicht nur um Kulinarisches bei der Frage der Nahrungstabus. Aber die Religionen haben es in ihrer langen Geschichte immer irgendwie geschafft, Kompromisse zu schließen, das Rationale und das Göttliche „unter einen Hut zu kriegen“, wie man gerne sagt. Auch die christliche hat ja überlebt und gedeiht.

Um dazu imstande zu sein, musste sie sich aber auf Diskussionen einlassen. Ein Fundamentalismus, der das nicht kann, muss früher oder später militant werden: Bomben statt Argumente.

Diskussionen zu solchen heiklen Themen haben wahrscheinlich nicht vorzugsweise in Sprachkursen stattgefunden. Aber dass sie dort nicht stattfinden können, ist lange nicht erwiesen. Wenn es andernorts dazu Gelegenheit gäbe, bräuchte man über die Frage nicht zu diskutieren. Dann würde man eben um des lieben Friedens und Lernerfolgs willen im Klassenzimmer darauf verzichten und hoffen, dass Reflexionsimpulse anderswoher kommen. Aber wo gibt es diese Gelegenheiten?

Und warum essen nun Muslime und Juden kein Schweinfleisch, im Gegensatz zu den Christen? Der Norden ist waldreicher als der heiße Nahe Osten. Der Wald nährt Schweine, die als Allesfresser mit dem Menschen in Nahrungskonkurrenz stehen. Diesen Umstand könnte Gott ja wenigstens mitbedacht haben, als er zwar den Menschen im Nahen Osten, nicht aber denen im Norden das Schwein verbot.

(Vergleichen Sie dazu auch folgendes Zitat von Immanuel Kant: Gebote Gottes.)

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