Deutschland und Amerika

Wie man früher in Deutschland die USA sah – und wie sich mit Trump alles geändert hat.

Ich kann mich, wie sicher viele Menschen, genau an den Moment erinnern, in dem ich von den Anschlägen des 11. September 2001 in den USA erfahren habe. Ich war gerade aus der Schule nach Hause gekommen, saß mit einer Tasse Kaffee und einer Zigarette am Küchentisch und hörte in den Radio-Nachrichten von den Terrorattacken.

Ebenso gut erinnere ich mich an den nächsten Tag im Kurs. Meine jungen Chinesinnen und Chinesen, daneben ein Teilnehmer aus Syrien, waren ganz aus dem Häuschen vor Freude; am liebsten hätten sie auf den Tischen getanzt und Champagner verspritzt. Endlich hatten auch die Amis, die unbesiegbaren, mal eins draufgekriegt. (Später habe ich herausgefunden, dass viele junge Amerikahasser von dieser Sorte ein Jahr ihres Lebens für eine Greencard geben würden. Was ihr schäbiges Verhalten aber gar nicht besser macht.)

Es kommt nicht oft vor, dass Kursteilnehmer so offen ihre politischen Auffassungen kundgeben. Ein Grund dafür ist sicher, dass sie die Reaktion von deutscher Seite nicht einschätzen können. Man weiß nicht, was opportun ist, und hält sich deshalb lieber zurück. Dass es in diesem Fall anders war, lag an der Exzeptionalität des Geschehenen, zu dem man einfach Stellung nehmen musste.

Aber was wäre nun in Deutschland das Opportune in Sachen USA? Wie hat sich das Verhältnis der Deutschen zu den US-Amerikanern, also zu den Gegnern und Siegern in zwei Weltkriegen, entwickelt? Haben die Deutschen die Amerikaner trotzdem lieben gelernt? Mit Bezug auf die USA vor Trump sind solche Fragen nicht auf die Schnelle zu beantworten. Seit Trump, und auch noch nach Trump, ist dagegen – für mich zumindest – alles ganz einfach. Aber zuerst noch einmal zurück in die guten alten Zeiten – vor Trump.

Es waren natürlich keine wirklich guten alten Zeiten – jedenfalls nicht für alle. 1945 haben die Amerikaner die ersten Atombomben abgeworfen, in den Sechzigern Vietnam verwüstet, Anfang der 70er den chilenischen Präsidenten ermorden und durch einen widerlichen Faschisten ersetzen lassen, vor ein paar Jahren, vielleicht heute noch, Menschen hunderte Male am Tag per Waterboarding-Folter an den Rand des Erstickungstodes gebracht usw. usw.

Für Deutschland allerdings waren diese Zeiten der amerikanischen Quasi-Weltherrschaft wirklich gute Zeiten. Hiroshima lag ja nicht in Deutschland, und auch alle anderen Nachkriegs-Schweinereien der Amerikaner haben uns oft mehr genützt als geschadet. Trotzdem gab es natürlich viel Kritik. Von links am Kapitalismus und den imperialistischen Aspekten der amerikanischen Weltpolitik; von links und rechts an der kulturellen Amerikanisierung, und manche extrem Rechte sahen sogar, wie einst die Nazis, in den USA weiterhin das Zentrum einer zionistischen Weltverschwörung. Aber auch unter den Kritikern gab es viele, die nur gewisse Aspekte der amerikanischen Politik und Kultur ablehnten, vieles andere aber bewunderten. Und von der unglaublichen Vitalität und kreativen Energie der USA waren ohnehin alle beeindruckt.

Man konnte also in Deutschland zum Thema USA fast jede denkbare Auffassung finden. Am typischsten waren aber sicher die gemischten Gefühle, eine mehr oder weniger differenzierte, pros and cons abwägende Einstellung, die sich nicht auf eine einfache Formel bringen ließ. Wenn jemand die USA pauschal verurteilte, haben die meisten Deutschen widersprochen und auf positive Aspekte hingewiesen. Wenn aber jemand die USA in den Himmel lobte, war man ebenso schnell mit kritischen Gegenargumenten bei der Hand.

Gleich, wie das Urteil ausfiel: die allermeisten Menschen dürften überzeugt gewesen sein, dass sie es so bald nicht zu revidieren bräuchten. Man glaubte nicht, dass sich Grundsätzliches ändern würde. Die USA schienen im Ganzen stabil, konsolidiert, durch nichts wirklich aus der Bahn zu werfen. Irgendwie hielt sich dort, on the long run, alles in einer mirakulösen Balance. Es gab Rechtsrucks und Linksschwenks, Ku Klux Klan und New Deal, McCarthy-Hexenjagden und Bürgerrechtsbewegung, aber alles bewegte sich um eine unverrückbare Zentralachse. Mit checks and balances, Föderalismus, wirtschaftlichem Liberalismus usw. schien alles so gut eingerichtet wie Gottes Schöpfung im Ganzen: ein endgültiges Scheitern konnte es nicht geben.

Mit Trump, allerspätestens mit dem Sturm auf den Kongress, musste man diese Überzeugung aufgeben. Jetzt war klar, dass auch in den USA ganz ernsthaft etwas schiefgehen konnte. Es gab offenbar doch keinen unumstößlichen Grundkonsens, kein demokratisch rechtsstaatliches Gravitationszentrum, von dem sich keine politische Kraft für längere Zeit entfernen konnte. Vielleicht war das Modell USA sogar von Anfang an mit gravierenden Mängeln behaftet, deren katastrophale Folgen erst jetzt zutage traten. Kein Werk Gottes jedenfalls. Vielleicht sogar – des faschistischen Satans?

Aber hat nicht mit der Wahl von Präsident Biden genau das stattgefunden, worauf man sich früher immer verlassen konnte: die Selbstreinigung, Selbstbesinnung, der Umschwung des Pendels? Bekanntlich haben aber über siebzig Millionen Menschen Trump noch ihre Stimme gegeben, als sie schon vier Jahre Zeit gehabt hatten, ihn kennenzulernen; und ein großer Teil davon glaubt noch heute an das Märchen vom Wahlbetrug. Und selbst wenn Trump noch nicht das radikal Böse verkörpern sollte, muss man doch befürchten, dass sein Wahlvolk auch einen Hitler an die Macht bringen würde. Man kann einfach nicht sehen, was dieses infantile, nach dem starken Mann schreiende, mit den unrealistischsten Versprechungen zu ködernde und so leicht zu manipulierende Volk davon abhalten könnte, den deutschen Weg der dreißiger Jahre zu beschreiten.

Die USA sind also zu einer potentiellen Bedrohung für uns geworden. Trump ist der erste amerikanische Präsident, den wir als Feind, als möglichen Wegbereiter eines neuen Faschismus, betrachten müssen.

Nach 9/11 hat der damalige Bundeskanzler, Gerhard Schröder, den USA seine „uneingeschränkte Solidarität“ zugesichert. Dafür ist er dann heftig kritisiert worden, als Präsident Bush, auf Lügen gestützt, den Irak-Krieg anfing. Schröder hat sich dann auch sehr deutlich von der US-Politik abgegrenzt, worüber die lügnerischen Bush-Gesellen recht verärgert waren. Sie kamen dann aber auch ohne deutsche Sympathien und Unterstützung gut zurecht.

Erst heute sind wir in einer Situation, in der das bessere Amerika, das halbwegs anständige, noch nicht völlig durchgeknallte, tatsächlich unsere uneingeschränkte Solidarität braucht. Wenn man sich vorstellt, dass zu der üblen Autokratenschar von China bis Russland, Brasilien bis Ungarn, der Türkei bis Syrien, auch noch ein autoritär regiertes Amerika kommt, könnte einem nämlich wirklich Angst werden.

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