Ist Homosexualität unnatürlich?

Natürlich kann Unterschiedliches bedeuten. Dass etwas einem offenkundigen Zweck entspricht zum Beispiel. Da gewisse Organe von Mann und Frau erkennbar aufeinander abgestimmt sind, hat das männliche sozusagen seinen natürlichen Einsatzort beim weiblichen. Außerdem hat der an diesem Ort vollzogene Akt seine naturgegebene Zweckbestimmung, eben die der Fortpflanzung. Mehr Natürlichkeit geht fast nicht.

Andererseits sind die Beine offenkundig zum Gehen da, man kann damit aber auch joggen (die unnatürlichste Aktivität auf diesem Planeten, die keinem anderen Tier je in den Sinn käme), tanzen oder Fußbälle irgendwohin kicken. Der Mensch nutzt eben auch seine natürliche Ausstattung sehr kreativ.

Natürlich kann auch bedeuten: in der Natur vorkommend. Das Argument für Unnatürlichkeit der Homosexualität lautet dann: Das gibt’s in der Natur nicht. Das ist aber schlicht falsch. Ich will keine Spezies zwangs-outen, aber es ist leicht, Informationen dazu zu finden.

Abgesehen davon gibt es z. B. große Spinnenweibchen, die ihre kleinen Spinnenmännchen nach dem Sex auffressen, woran wir uns auch kein Vorbild nehmen wollen. (Jedenfalls wir Menschenmännchen nicht.) Überhaupt sind wir Menschen und brauchen weder bei Affen noch bei Spinnen anzufragen, wie wir uns benehmen sollen. (Ist es doch noch rausgerutscht.)

Wenn ich, an diesem Punkt angelangt, noch einmal frage, was die Leute von Homosexualität halten, sagen sie gewöhnlich: Ja, aber Homosexualität ist unnatürlich. Menschen sind eben Kulturwesen, und die Kultur sitzt tief. Tiefer als die Natur. Oder meine Argumente sind schlecht. Aber es gibt auch bessere.

Die Frage nach der Natürlichkeit ist eigentlich gar nicht so wichtig. Auch meine Teilnehmer, die Homosexualität für „abartig“ halten (wo sie dieses Wort nur gelernt haben), sind meist bereit einzugestehen, dass Homosexuelle sich in anderer als sexueller Hinsicht nicht von anderen unterscheiden. Sie sind nicht böser, dümmer, fauler, gefährlicher usw. Natürlich ist es gerade die fehlende Bereitschaft in traditionalen Kulturen, den Menschen, das Individuum in den Blick zu nehmen, die das oft traurige Schicksal von LGBT-Menschen dort bedingt. Alles von der Norm Abweichende wird entindividualisiert, zur Verkörperung eines dämonischen Bösen, dem man so wenig ein geordnet-sinnerfülltes Eigenleben zutraut wie wirklichen Dämonen (sozusagen).

Das sind die besseren Argumente. Wenn wir heute einen Menschen beurteilen, tun wir es nicht mehr nach Kriterien mittelalterlicher Dämonologie. Wir verteufeln Menschen nicht und interessieren uns nicht dafür, was sie mit wem im Bett treiben und wie natürlich es ist; weil das, nach neuerer Auffassung, nichts mit den Qualitäten zu tun hat, auf die es ankommt, den moralischen. Die uns nicht die Natur mit auf den Weg gegeben hat.

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