Gott ist out

Atheismus richtig verstehen

In Kursen mit chinesischen Teilnehmern tritt der Atheismus im Plural auf. „Wir sind Atheisten“, spricht es da im Chor. Ungeachtet der Tatsache, dass sich in der Volksrepublik mehr Menschen zum Christentum bekennen als z.B. im auch nicht ganz winzigen Deutschland.

Stammen die Teilnehmer aus Ländern mit überwiegend muslimischer Bevölkerung, sieht es natürlich anders aus. Immerhin ist auch da der Atheismus kein völlig Unbekannter. Er tritt nur eher im Singular auf und lächelt verschwörerisch oder zwinkert einem zu, und ist jedenfalls öffentlich nicht so explizit.

Ziemlich freudlos ist sein Los dagegen unter Westlern. Statt stolzer oder verschwörerischer Bekenntnisse hört man nur noch beiläufige Absagen: „Religion interessiert mich nicht so.“ Als ginge es um Fußball oder Lokalpolitik.

Soll oder muss man eine solche Haltung überhaupt noch als Atheismus bezeichnen? Die Frage der Existenz Gottes ist hier offenbar eher irrelevant geworden. Man würde sich vielleicht nicht mal für einen existierenden, sogar irgendwie verifizierbaren Gott sonderlich interessieren.

Aber ist Atheismus überhaupt als fehlender Glaube an die Existenz Gottes richtig beschrieben? Kommt es nicht immer auf etwas anderes viel mehr oder ausschließlich an, nämlich den Sinn, den dieser Glaube zu spenden vermag?

Auch für einen Atheisten vom älteren Schlag, dem sein Atheismus noch mehr bedeutete, dürfte die „Existenzfrage“ ziemlich nachrangig gewesen sein. Atheisten sind als Menschen, die „nicht an Gott glauben“, nur ganz unzureichend oder sogar falsch charakterisiert.

Es geht nicht ums Glauben. Für uns – würde ein Atheist erklären – ist Gott nicht tot, sondern einfach out. Selbst wenn es ihn gäbe, gäbe er uns nichts. Selbst wenn er noch lebte, hätte er uns nichts mehr zu sagen. Selbst wenn wir durch Evidenz gezwungen wären, an ihn zu glauben, hätte er, oder dieser Glaube, keinen Sinn mehr.

Was sollen wir noch anfangen mit einem Superman im Himmel, der uns belohnt, wenn wir nur an ihn glauben und seine Gebote befolgen, und bestraft, wenn beides nicht? Wo ist die Pointe, wo der Sinn, wo die Moral? Es ist – würde der Atheist sagen – alles konzeptuell so einfältig, so überholt, so vorvorgestrig, so beziehungslos zu allem, was mein Leben aus- und bedeutungsvoll macht. Und dazu noch so „offenkundig infantil“, wie ein anderer Atheist und Psychoanalytiker einmal gesagt hat. (ATL)

Unser imaginierter Atheist ist leider etwas emotional und nicht sehr rücksichtsvoll und insofern nicht der geeignetste Dialogpartner für fromme Menschen. Aber man muss zugeben, dass von seiner Position aus ein Dialog viel eher möglich wäre. Wenn es nicht mehr einfach ums „Glauben“ geht, sondern um den daraus zu beziehenden Sinn, kann man ins Gespräch kommen über die Dinge, an die man glaubt – und ihren Sinn.

Versuchen Sie abschließend herauszufinden, ob unser berühmter Dramatiker Bertold Brecht ähnliche Argumente vorträgt wie unser Atheist. Und ob er einer war oder nicht.

Einer fragte Herrn K., ob es einen Gott gäbe.

Herr K. sagte: „Ich rate dir, nachzudenken, ob dein Verhalten je nach der Antwort auf diese Frage sich ändern würde.
Würde es sich nicht ändern, dann können wir die Frage fallen lassen.

Würde es sich ändern, dann kann ich dir wenigstens noch so weit behilflich sein, dass ich dir sage, du hast dich schon entschieden:


Du brauchst einen Gott.“

Und vielleicht noch einen etwa aus der gleichen Zeit stammenden und eleganter formulierten Satz eines Menschen zu interpretieren, der sicher kein Atheist war:

Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht.

Dietrich Bonhoeffer, ein von den Nazis ermordeter evangelischer Theologe

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