Was ist Goethe?

Über etwas, was man wirklich wissen sollte.

Liebe Deutschlernende, wenn Sie diese Frage – Was ist Goethe? – irgendwie komisch finden, weil Sie meinen, man sollte besser „Wer ist Goethe?“ fragen, dann freut mich das. Wenn Ihnen die Frage aber ganz normal und auch sehr berechtigt erscheint, weil Sie keine Ahnung haben, was Goethe ist, bin ich auch nicht böse. Jedenfalls nicht mit Ihnen.

Sondern mit DaF in Deutschland (in DACH). Aber darüber unterhalten wir uns später. Zunächst über Goethe.

Goethe ist die bedeutendste Kulturgröße, der wichtigste „Geistesmensch“ Deutschlands, oder der deutschsprachigen Welt. Goethe ist für Deutschland (DACH), was Shakespeare für England. Und, falls Sie ihn tatsächlich nicht kennen sollten, Goethe ist wie Shakespeare ein „Dichter“, ein Schriftsteller. Aber – im Gegensatz zu Shakespeare – nicht nur.

Goethe hatte sehr vielseitige Interessen; er sah sich auch selbst nicht immer in erster Linie als Schriftsteller. Er war zum Beispiel sehr an den neuen Naturwissenschaften interessiert und hat sich intensiv mit Optik, mit Botanik und mit Anatomie befasst, und sogar ein paar Entdeckungen gemacht. Manche betrachten seinen Ansatz als Alternative zur mathematisch fundierten Wissenschaft seit Galilei und Newton.

Goethe war auch Politiker, bzw. höherer Beamter, in einem kleinen deutschen Staat. Er ist in Frankfurt am Main geboren, wurde aber mit Ende zwanzig, als er schon als Schriftsteller Erfolge erzielt hatte, nach Weimar eingeladen, und lebte und wirkte dort bis zu seinem Tod im Jahr 1832.

Von seinen literarischen Werken sind der Roman „Die Leiden des jungen Werther“ und das Theaterstück „Faust“ am berühmtesten. Mit den „Leiden des jungen Werther“ hat er die größte öffentliche Wirkung erzielt. Im Ausland sieht man darin eines der wichtigsten Dokumente einer neuen literarischen Strömung – der Romantik. In DACH ist Goethe dagegen ein „Klassiker“, was nicht so gut zur Romantik passt. Aber dass etwas ganz Neues mit dem Werther beginnt, sieht man natürlich genauso. Und der „Faust“ ist ein geistiger Kosmos in Form zweier Dramen (es gibt einen Faust 1 und einen Faust 2), in dem sich in sprachlich vollendeter Form alle Weisheitsschätze der Goethe-Welt präsentieren.

Wilhelm Amberg, Vorlesung aus Goethes Werther; Public domain, via Wikimedia Commons

Jede und jeder Deutsche (Österreicher, Schweizer; übrigens auch Franzose, Engländer, Italiener …) kennt Goethe. Wenigstens den Namen. So, wie jede und jeder Deutsche (…) den Namen der deutschen Hauptstadt kennt.

Aber muss man von einer Persönlichkeit wie Goethe, der eine unglaublich wichtige Rolle in der deutschen und europäischen Kultur spielt, auch dann gehört haben, wenn man in einem anderen Land jenseits des „Westens“ lebt oder von dorther kommt? Es gibt schließlich auch in anderen Ländern und Weltregionen bedeutende Persönlichkeiten; und von allen kann man doch nicht wissen. Das ist die eine Seite.

Die andere Seite ist, dass auch noch viele hier lebende Deutschlernende auf höherem Niveau, nämlich wenn sie in meinen B2-Kurs kommen, von Goethe nie etwas gehört haben. Manchmal der gesamte Kurs. Menschen, die bis dahin sechshundert oder achthundert Stunden in Deutschkursen verbracht haben, haben also noch nicht einmal den Namen Goethe vernommen. Und wenn es auch viele gute Gründe gibt, auf den DaF-Betrieb in diesem Land sauer zu sein – das ist der beste.

Faust und Gretchen – Peter von Cornelius, Public domain, via Wikimedia Commons

Ein DaF-Curriculum, das nicht einmal die bloße namentliche Erwähnung des wichtigsten Dichters und Kulturrepräsentanten vorsieht, nimmt die Adressaten nicht als Kulturmenschen ernst – also eigentlich überhaupt nicht.

Sicher sind meine deutschlernenden LeserInnen längst mit mir einig, dass man Goethe kennen und im Deutschunterricht wenigstens erwähnen sollte. Es muss auch in Ihrer Heimat Menschen geben, von deren Existenz jeder wissen sollte, der sich nur im mindesten für Ihre Kultur interessiert.

Ebenso überzeugt bin ich, dass man, wenn man Lust hätte, mit VertreterInnen des Fachs Deutsch als Fremdsprache stundenlange Diskussionen darüber führen könnte, ob Goethe wirklich im DaF-Unterricht vorkommen sollte und warum und warum nicht. Was mich betrifft, habe ich dazu keine Lust. Es gibt Dinge, die sich entweder von selbst verstehen – oder gar nicht.

Und jetzt gehen Sie auf die Webseite des deutschen Goethe-Instituts, des wichtigsten Sprach- und Kulturinstituts, und versuchen, dort etwas über Goethe herauszufinden. Oder lassen Sie’s lieber – Sie finden nämlich nichts – und schauen Sie sich dafür ein paar nette Zitate in meiner kleinen Sammlung „Aufgaben, Texte, Links“ an: ATL auf meiner d-seite. Warum nicht zum Beispiel den Anfang des Faust?

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